
Entgegen der Annahme ist ein Nachhaltigkeitssiegel kein Garant für ein rundum faires und ökologisches Produkt, sondern oft nur ein spezialisierter Prüfstein.
- Vage Begriffe wie „Conscious“ oder „Grün“ sind meist Marketing ohne verbindliche Standards und ein klares Indiz für Greenwashing.
- Die Kluft zwischen gesetzlichem Mindestlohn und einem existenzsichernden Lohn ist der Hauptgrund, warum echte faire Mode einen Mindestpreis hat.
Empfehlung: Denken Sie wie ein Auditor. Hinterfragen Sie nicht nur das Siegel, sondern die gesamte Lieferkette – von den Löhnen über die Materialien bis zum Ende des Lebenszyklus.
Im Dschungel der Modewelt fühlen sich viele deutsche Verbraucher verloren. Überall leuchten grüne Versprechen von den Etiketten: „conscious“, „recycled“, „eco-friendly“. Als Antwort auf dieses Chaos hat die Bundesregierung den „Grünen Knopf“ eingeführt, ein staatliches Siegel, das Klarheit schaffen soll. Die Idee ist einfach: Ein verlässliches Zeichen für sozial und ökologisch produzierte Textilien. Doch die Realität ist komplexer. Die meisten Ratgeber empfehlen schlicht, auf Siegel wie den Grünen Knopf, GOTS oder Oeko-Tex zu achten. Aber was passiert, wenn selbst diese Zertifikate nur einen Teil der Wahrheit abbilden?
Dieser Ansatz greift zu kurz, denn er übersieht die subtilen Methoden des Greenwashings und die wirtschaftlichen Realitäten der globalen Textilproduktion. Ein als „schadstoffgeprüft“ beworbenes T-Shirt kann unter katastrophalen Arbeitsbedingungen entstanden sein. Ein Kleid aus „recyceltem Plastik“ trägt möglicherweise zur Mikroplastik-Verschmutzung bei. Die wahre Nachhaltigkeit eines Kleidungsstücks erschließt sich nicht durch das blinde Vertrauen in ein einzelnes Logo. Was wäre, wenn der Schlüssel nicht darin läge, nach dem *einen* perfekten Siegel zu suchen, sondern darin, die Denkweise eines Auditors anzunehmen und die richtigen Fragen zu stellen?
Dieser Artikel ist Ihre Ausbildung zum kritischen Mode-Prüfer. Wir werden nicht nur Siegel entschlüsseln, sondern die Systemfehler dahinter aufdecken. Wir zerlegen Marketing-Mythen, kalkulieren die wahren Kosten fairer Arbeit und verfolgen den Lebensweg eines Kleidungsstücks von der Faser bis zum Kompost. Sie lernen, die „Zertifizierungslücken“ zu erkennen und die Spreu vom Weizen zu trennen – faktenbasiert und ohne Kompromisse.
Um die Versprechen der Modeindustrie systematisch zu prüfen, folgen wir einem klaren Leitfaden. Dieser Weg führt Sie von der Analyse der Siegel über die Entlarvung von Greenwashing-Tricks bis hin zur kritischen Bewertung von Löhnen und Materialien.
Inhaltsverzeichnis: Der Grüne Knopf und die Realität der nachhaltigen Mode
- Warum „schadstoffgeprüft“ (Oeko-Tex) noch lange nicht „bio“ oder „fair“ bedeutet?
- Wie Marken mit Begriffen wie „Conscious“ täuschen, ohne Standards zu erfüllen?
- Warum ein faires T-Shirt rechnerisch nicht unter 15 € kosten kann?
- Welche Marken produzieren wirklich noch in Deutschland oder der EU?
- Cradle to Cradle: Gibt es Kleidung, die komplett kompostierbar ist?
- Das Märchen vom recycelten Ozean-Plastik: Was steckt wirklich im Stoff?
- Das Risiko der Mikroplastik-Flut durch billige Trendteile
- Mode, die fair produziert wurde: Der Unterschied zwischen Mindestlohn und Existenzlohn
Warum „schadstoffgeprüft“ (Oeko-Tex) noch lange nicht „bio“ oder „fair“ bedeutet?
Das erste Missverständnis, das ein Auditor ausräumen muss, ist die Gleichsetzung von „schadstoffgeprüft“ mit „nachhaltig“. Das prominenteste Beispiel hierfür ist der Oeko-Tex Standard 100. Dieses Siegel garantiert, dass das Endprodukt auf eine lange Liste von Chemikalien getestet wurde und gesundheitlich unbedenklich ist. Das ist ein wichtiger Schritt, aber es ist keine Aussage über die ökologischen oder sozialen Bedingungen während der Produktion. Ein T-Shirt kann Oeko-Tex-zertifiziert sein, aber dennoch aus konventioneller Baumwolle bestehen, für deren Anbau enorme Mengen an Pestiziden und Wasser verbraucht wurden. Ebenso wenig sagt das Siegel etwas über die Löhne oder Arbeitszeiten der Näherinnen aus.
Hier offenbart sich die erste Zertifizierungslücke: Ein Siegel deckt oft nur eine spezifische Stufe der Lieferkette oder einen Aspekt der Nachhaltigkeit ab. Der Grüne Knopf versucht, diese Lücke zu schließen. Er ist ein sogenanntes „Meta-Siegel“. Das bedeutet, er setzt voraus, dass ein Produkt bereits durch anerkannte Siegel wie GOTS (für Ökologie und Soziales) oder den Oeko-Tex Made in Green (der über den Standard 100 hinausgeht) zertifiziert ist. Zusätzlich prüft der Grüne Knopf das Unternehmen selbst auf seine menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflicht. Doch obwohl das Siegel anspruchsvoll ist, ist seine Bekanntheit ausbaufähig: laut einer GfK-Umfrage kennen nur 44 % der Deutschen das staatliche Siegel.
Die Notwendigkeit einer umfassenderen Prüfung wird auch durch die deutsche Gesetzgebung unterstrichen. Wie das Bundesministerium für Entwicklung betont, zwingt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) große deutsche Unternehmen seit 2023 dazu, über die reine Schadstoffprüfung hinaus auch Menschenrechtsrisiken in ihrer Lieferkette zu bewerten. Für einen kritischen Konsumenten bedeutet das: Ein einzelnes Siegel ist nur ein Hinweis. Die eigentliche Prüfung beginnt mit der Frage, welche Aspekte es abdeckt und – was noch wichtiger ist – welche nicht.
Wie Marken mit Begriffen wie „Conscious“ täuschen, ohne Standards zu erfüllen?
Die zweite Prüfung eines Auditors widmet sich dem Marketing-Nebel – dem gezielten Einsatz vager und ungeschützter Begriffe, um ein nachhaltiges Image zu konstruieren. Fast-Fashion-Giganten haben erkannt, dass Nachhaltigkeit ein Kaufargument ist. Eine Analyse von YouTube-Daten zeigte bereits 2018 einen Anstieg von 190 % bei Haul-Videos, die das Wort „nachhaltig“ im Titel trugen. Diesen Trend machen sich Marken zunutze, indem sie spezielle Kollektionen mit Namen wie „Conscious“, „Join Life“ oder „Committed“ auf den Markt bringen.
Das Problem: Diese Begriffe sind rechtlich nicht geschützt und an keinerlei verbindliche Standards geknüpft. Eine „Conscious“-Kollektion kann bedeuten, dass ein T-Shirt aus 20 % recyceltem Polyester besteht, während der Rest der Kollektion und die Produktionsmethoden des Unternehmens konventionell und problematisch bleiben. Es ist eine klassische Greenwashing-Taktik: Ein kleiner, positiv besetzter Teil des Geschäfts wird prominent beworben, um vom umweltschädlichen Kerngeschäft abzulenken. Der kritische Konsument wird so in die Irre geführt, da er das positive Attribut der Kapselkollektion auf die gesamte Marke überträgt.
Ein Auditor muss hier genau hinsehen und die Marketing-Behauptungen mit Fakten abgleichen. Fehlende Transparenz ist oft das größte Warnsignal. Wenn eine Marke ihre „grüne“ Kollektion bewirbt, aber keine Informationen über die Fabriken, die Löhne der Arbeiter oder den genauen prozentualen Anteil nachhaltiger Materialien im Gesamtunternehmen liefert, ist Skepsis geboten. Echte Nachhaltigkeit ist transparent und wird durch unabhängige, anspruchsvolle Siegel wie GOTS oder die Mitgliedschaft in der Fair Wear Foundation belegt, nicht durch selbst erfundene Marketing-Begriffe.
Audit-Checkliste: 5 Warnsignale für Greenwashing
- Begriffs-Prüfung: Werden unspezifische Begriffe wie „bewusst“ oder „grün“ ohne Verweis auf konkrete, unabhängige Standards verwendet?
- Kollektions-Analyse: Beschränkt sich das Nachhaltigkeitsversprechen auf kleine Sonderkollektionen, während das Hauptsortiment konventionell bleibt?
- Transparenz-Check: Fehlen detaillierte Informationen über Produktionsorte, Lieferketten und vor allem die gezahlten Löhne?
- Fokus-Prüfung: Konzentriert sich das Marketing auf nur ein einziges Thema (z.B. Recycling), während andere Aspekte wie Wasserverbrauch oder Arbeitsrechte ignoriert werden?
- Siegel-Validierung: Verlässt sich die Marke auf Eigenwerbung statt auf anerkannte, unabhängige Zertifizierungen durch Dritte?
Warum ein faires T-Shirt rechnerisch nicht unter 15 € kosten kann?
Die dritte und wohl härteste Prüfung für den Konsumenten ist die Konfrontation mit der Kostenwahrheit. Ein T-Shirt für 4,99 € im Discounter scheint ein Schnäppchen zu sein, doch dieser Preis ist nur durch massive Externalisierung von Kosten möglich – soziale und ökologische Kosten, die von den Arbeiterinnen in den Produktionsländern und der Umwelt getragen werden. Ein Auditor weiß: Ein unrealistisch niedriger Preis ist das größte Alarmsignal für Ausbeutung in der Lieferkette.
Betrachten wir eine vereinfachte Kalkulation für ein fair produziertes T-Shirt aus Bio-Baumwolle. Die Materialkosten, Spinnerei, Färbung, Zuschnitt, Näharbeiten, Transport, Marketing und die Gewinnmarge des Händlers müssen gedeckt werden. Der entscheidende Faktor ist jedoch der Lohn. Wenn eine Näherin in Bangladesch einen Lohn erhält, der zum Leben reicht (Existenzlohn) und nicht nur den gesetzlichen Mindestlohn, der oft weit unter der Armutsgrenze liegt, steigen die Produktionskosten signifikant. Experten der Clean Clothes Campaign und anderer NGOs schätzen, dass allein der Anteil für einen fairen Lohn den Preis eines T-Shirts um mehrere Euro erhöhen würde. Rechnet man alle fairen und ökologischen Produktionsschritte zusammen, ist ein Endkundenpreis von unter 15 € für ein T-Shirt in Deutschland kaum realistisch.

Die Investition in ein teureres, aber faires und langlebiges Kleidungsstück relativiert sich über die Zeit. Das Konzept „Cost per Wear“ (Kosten pro Tragen) macht dies deutlich: Ein 40-€-Shirt, das 50 Mal getragen wird, kostet pro Tragen 80 Cent. Ein 5-€-Shirt, das nach fünf Wäschen seine Form verliert, kostet pro Tragen 1 €. Nachhaltigkeit ist somit auch eine Frage der Perspektive: Weg vom Impulskauf, hin zur bewussten Investition in Qualität und Ethik.
Die folgende Tabelle verdeutlicht die dramatische Lohnlücke, die durch Billigpreise zementiert wird. Wie eine Analyse von FashionChangers aufzeigt, klafft zwischen gesetzlichem Minimum und dem, was zum Leben nötig ist, eine riesige Lücke.
| Land | Mindestlohn | Existenzlohn | Differenz |
|---|---|---|---|
| Bangladesch | 21% des Existenzlohns | 100% | 79% Lücke |
| China | 46% des Existenzlohns | 100% | 54% Lücke |
| Ungarn | 10% des Existenzlohns | 100% | 90% Lücke |
Welche Marken produzieren wirklich noch in Deutschland oder der EU?
Das Label „Made in Germany“ oder „Made in EU“ klingt für viele Verbraucher wie ein Garant für Fairness und Qualität. Doch auch hier muss ein Auditor genauer hinsehen. Der Begriff „Made in…“ bezieht sich oft nur auf den letzten wesentlichen Verarbeitungsschritt. Ein T-Shirt kann in Asien aus indischer Baumwolle gewebt, gefärbt und genäht und anschließend in Deutschland lediglich bedruckt oder verpackt werden. Rechtlich darf es dann unter Umständen als „Made in Germany“ bezeichnet werden. Dies ist eine legale, aber irreführende Praxis.
Echte Produktion in Deutschland oder der EU ist selten und teuer. Die Lohn- und Produktionskosten sind um ein Vielfaches höher als in Asien. Unternehmen, die sich für eine lokale Fertigung entscheiden, tun dies oft aus Überzeugung und setzen auf Transparenz. Meist handelt es sich um kleinere Labels, die eine enge Beziehung zu ihren Nähereien pflegen. Marken wie Trigema, die eine Vollstufenproduktion in Deutschland betreiben (vom Garn bis zum fertigen Produkt), sind absolute Ausnahmen. Andere Marken lagern einzelne Schritte in europäische Länder wie Portugal oder Polen aus, wo die Lohnkosten niedriger sind als in Deutschland, aber die Sozial- und Umweltstandards in der Regel höher als in Asien.
Für den kritischen Konsumenten ist es entscheidend, zu hinterfragen, was „Produktion in der EU“ genau bedeutet. Findet hier die gesamte Wertschöpfung statt (Vollstufenproduktion) oder nur die Endkonfektion? Seriöse Marken geben auf ihrer Website oft detailliert Auskunft über ihre Produktionspartner. Wenn diese Informationen fehlen, ist Vorsicht geboten. Ein gutes Beispiel für den Versuch, lokale und faire Produktion zu verbinden, ist das Label MANDA der Influencerin Marie Johnson. Obwohl es sich um eine Kleinserie handelt, zeigt es den Willen, die Lieferkette transparent zu gestalten und die Produktion in Europa zu halten.
Cradle to Cradle: Gibt es Kleidung, die komplett kompostierbar ist?
Die ultimative Vision einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft ist das Prinzip von Cradle to Cradle (C2C). Die Idee: Produkte werden so designt, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus entweder sicher in den biologischen Kreislauf zurückkehren (kompostiert werden) oder ihre Rohstoffe vollständig für neue Produkte im technischen Kreislauf wiederverwendet werden können. Für Kleidung bedeutet das: ein T-Shirt, das man theoretisch auf den Kompost werfen könnte. Einige deutsche Marken wie C&A, Trigema oder hessnatur bieten bereits C2C-zertifizierte Produkte an.
Doch die praktische Umsetzung ist anspruchsvoll. Damit ein Kleidungsstück vollständig kompostierbar ist, müssen alle Komponenten – Stoff, Nähgarn, Farbstoffe und sogar das Etikett – aus biologisch abbaubaren Materialien bestehen und frei von schädlichen Chemikalien sein. Synthetische Fasern, herkömmliche Polyester-Nähgarne oder metallische Knöpfe müssen vermieden oder für den technischen Kreislauf leicht demontierbar sein. Die Zertifizierung ist komplex und teuer, weshalb C2C-Produkte nach wie vor eine Nische sind. Obwohl Produkte mit staatlich anerkannten Nachhaltigkeitssiegeln insgesamt an Bedeutung gewinnen, bleibt der C2C-Anteil daran gering. Das Umweltbundesamt berichtet, dass der Marktanteil für Produkte mit staatlichen Nachhaltigkeitssiegeln bei 12,2 % liegt, doch der Anteil vollständig kreislauffähiger Produkte ist darin nur ein Bruchteil.
Ein weiterer Haken liegt in der Entsorgung. Die meisten C2C-Textilien sind für industrielle Kompostierungsanlagen konzipiert, nicht für den heimischen Gartenkompost. Die deutsche Biotonne ist für Textilien generell nicht vorgesehen, da die Verweildauer in den Anlagen oft zu kurz für den vollständigen Abbau ist. Der Auditor in uns muss also erkennen: C2C ist ein wegweisendes Konzept und ein enormer Fortschritt, aber es ist keine magische Lösung für das Müllproblem der Modeindustrie, solange die nötige Infrastruktur für Sammlung und Verwertung im großen Stil fehlt. Es ist ein Blick in die Zukunft, der heute schon in kleinen Schritten Realität wird.
Das Märchen vom recycelten Ozean-Plastik: Was steckt wirklich im Stoff?
Ein besonders emotional aufgeladenes Marketing-Narrativ ist Kleidung aus „recyceltem Ozean-Plastik“. Das Bild von aus dem Meer gefischten Netzen und Flaschen, die zu Sneakern oder Jacken werden, ist wirkungsvoll. Doch die Prüfung eines Auditors deckt hier eine kritische Ungenauigkeit auf. In den allermeisten Fällen handelt es sich nicht um Plastik, das mühsam aus den Ozeanen geborgen wird, sondern um „Ocean-Bound Plastic“. Das ist Plastikmüll, der in Küstenregionen, an Stränden oder in Flussmündungen gesammelt wird, *bevor* er ins Meer gelangt.
Dies zu verhindern, ist ohne Frage eine extrem wichtige und sinnvolle Maßnahme. Das Problem ist jedoch das irreführende Marketing. Es suggeriert eine Säuberung der Meere, die in dieser Form technisch und wirtschaftlich kaum skalierbar ist. Das aus dem Meer geborgene Plastik ist oft durch Salzwasser, UV-Strahlung und Algenbewuchs so stark zersetzt und verunreinigt, dass ein hochwertiges Recycling zu Textilfasern extrem aufwendig und energieintensiv wäre. Die Verwendung von Ocean-Bound Plastic ist also eine pragmatische und gute Lösung, wird aber oft unter einer falschen, emotionaleren Flagge verkauft.
Darüber hinaus bleibt das Grundproblem von Synthetikfasern bestehen. Auch ein Shirt aus recyceltem Polyester ist und bleibt Plastik. Bei jeder Wäsche können sich winzige Mikrofasern lösen und ins Abwasser gelangen. Das Recycling löst also das Problem des Rohstoffverbrauchs (es wird kein neues Erdöl benötigt), aber nicht zwangsläufig das Problem der Mikroplastik-Verschmutzung. Ein Auditor bewertet den Materialkreislauf daher ganzheitlich: Woher kommt der Rohstoff wirklich? Und was passiert mit dem Produkt am Ende seines Lebens und während seiner Nutzung?
Das Risiko der Mikroplastik-Flut durch billige Trendteile
Die siebte Prüfung führt uns zu einem unsichtbaren, aber gravierenden Problem: Mikroplastik. Jedes Mal, wenn wir Kleidung aus synthetischen oder gemischten Fasern wie Polyester, Acryl oder Polyamid waschen, lösen sich kleinste Faserpartikel. Diese gelangen über das Abwasser in Flüsse und Meere, werden von Lebewesen aufgenommen und landen so schlussendlich wieder in unserer Nahrungskette. Besonders billige Fast-Fashion-Teile, die oft aus minderwertigen Synthetikfasern bestehen, neigen zu einem starken Faserbruch.
Selbst Kleidung aus recyceltem Polyester, die oft als nachhaltige Alternative beworben wird, ist vor diesem Problem nicht gefeit. Die Faserlänge bei recycelten Garnen kann kürzer sein als bei neu produziertem Polyester, was den Abrieb beim Waschen sogar noch verstärken kann. Es ist ein Dilemma: Das Recycling von PET-Flaschen zu Kleidung ist ressourcenschonend, verschiebt das Umweltproblem aber vom Müllberg ins Wasser. Ein kritischer Auditor muss daher anerkennen, dass auch vermeintlich „gute“ Materialien unerwünschte Nebeneffekte haben können.

Glücklicherweise gibt es praktische Lösungen, um dieses Problem im eigenen Haushalt zu reduzieren. Neben dem bewussten Kauf von Naturfasern wie Leinen, Hanf oder Bio-Baumwolle, gibt es technische Hilfsmittel. Eine deutsche Innovation hat hier Pionierarbeit geleistet und zeigt, wie Konsumenten aktiv werden können.
Fallstudie: Guppyfriend – Deutsche Innovation gegen Mikroplastik
Der in Deutschland entwickelte „Guppyfriend“ Waschbeutel ist eine einfache, aber effektive Lösung. Synthetische Textilien werden vor dem Waschen in den Beutel gegeben. Dessen feine Netzstruktur verhindert, dass sich ein Großteil der Fasern löst, und fängt die bereits abgebrochenen Partikel auf. Studien zeigen, dass der Beutel den Faserabbruch bei teil-synthetischer Kleidung um bis zu 79 % und bei reiner Synthetik-Kleidung um bis zu 86 % reduziert. Die aufgefangenen Fasern können nach der Wäsche einfach aus dem Beutel entfernt und im Restmüll entsorgt werden, anstatt im Wasserkreislauf zu landen.
Zusätzlich helfen einfache Verhaltensänderungen beim Waschen, den Faserabrieb zu minimieren. Dazu gehören niedrigere Waschtemperaturen, eine Reduzierung der Schleuderdrehzahl und das vollständige Beladen der Maschine, um die mechanische Reibung zu verringern.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Siegel allein ist kein Beweis für Nachhaltigkeit; die „Zertifizierungslücke“ (was nicht geprüft wird) ist entscheidend.
- Der Preis ist der ehrlichste Indikator: Ein T-Shirt unter 15€ kann rechnerisch kaum fair produziert sein, da der Lohn die größte Differenz ausmacht.
- Jedes Material hat Kompromisse: Recycling löst das Rohstoff-, aber nicht das Mikroplastik-Problem.
Mode, die fair produziert wurde: Der Unterschied zwischen Mindestlohn und Existenzlohn
Die finale und wichtigste Prüfung eines Auditors ist die soziale Prüfung. Denn ohne faire Löhne kann es keine nachhaltige Mode geben. Hier liegt die größte Diskrepanz zwischen gesetzlicher Realität und ethischem Anspruch. In vielen Produktionsländern wie Bangladesch, Kambodscha oder auch in einigen osteuropäischen Staaten gibt es zwar einen gesetzlichen Mindestlohn, dieser reicht aber oft bei Weitem nicht aus, um die grundlegenden Bedürfnisse einer Familie zu decken. Er ist ein politisch festgelegter Kompromiss, kein an den Lebenshaltungskosten orientierter Wert.
Dem gegenüber steht der Existenzlohn (Living Wage). Dieser wird von NGOs wie der Clean Clothes Campaign auf Basis der lokalen Kosten für Ernährung, Wohnen, Bildung, Gesundheitsversorgung und einen kleinen Betrag für Rücklagen berechnet. Er repräsentiert das Einkommen, das eine Arbeiterin bei einer regulären Arbeitswoche (max. 48 Stunden) benötigt, um sich und ihre Familie menschenwürdig zu versorgen. Die Lücke zwischen diesen beiden Werten ist die „Lohnlücke“ – und sie ist dramatisch.
Diese Lücke ist der Kern des Geschäftsmodells von Fast Fashion. Nur durch die Zahlung von Löhnen, die Menschen in Armut gefangen halten, können extrem niedrige Preise realisiert werden. Eine Marke, die sich wirklich zur Fairness bekennt, muss sich dem Thema Existenzlöhne stellen. Siegel wie „Fairtrade Certified Cotton“ garantieren dies für die Baumwollbauern, während die Organisation Fair Wear Foundation Unternehmen dabei unterstützt, schrittweise auf Existenzlöhne in der Konfektion hinzuarbeiten. Die Verpflichtung zur Zahlung von Existenzlöhnen ist der Lackmustest für soziale Verantwortung.
Die Kampagne für Saubere Kleidung fasst die Notwendigkeit unmissverständlich zusammen:
Ohne Existenzlöhne kann von Nachhaltigkeit oder Fairness in der Bekleidungsindustrie nicht gesprochen werden.
– Kampagne für Saubere Kleidung, Clean Clothes Campaign Germany
Die folgende Gegenüberstellung, basierend auf Daten der Kampagne für Saubere Kleidung, zeigt die fundamentalen Unterschiede zwischen den beiden Lohnkonzepten.
| Kriterium | Mindestlohn | Existenzlohn |
|---|---|---|
| Definition | Gesetzlich festgelegter Minimallohn | Lohn für ein menschenwürdiges Leben |
| Abdeckung | Deckt oft nicht die Grundbedürfnisse | Grundbedürfnisse + kleine Rücklagen |
| Basis | Politischer Kompromiss | An lokalen Lebenshaltungskosten orientiert |
| Arbeitszeit-Basis | Deckung der Kosten oft nur durch exzessive Überstunden | Basiert auf einer regulären Arbeitswoche (max. 48h) |
Häufig gestellte Fragen zu nachhaltigen Textilien
Kann ich C2C-zertifizierte Kleidung in der Biotonne entsorgen?
Nein, die meisten C2C-Textilien benötigen industrielle Kompostieranlagen. Die deutsche Biotonne ist für die Entsorgung von Textilien nicht geeignet, da die Prozesse dort nicht auf den vollständigen Abbau ausgelegt sind.
Was passiert mit nicht-kompostierbaren Teilen wie Knöpfen bei C2C-Kleidung?
Diese Teile gehören in den sogenannten technischen Kreislauf. Sie müssen vor der Kompostierung des Textils entfernt und separat recycelt oder im Idealfall vom Hersteller zurückgenommen und wiederverwendet werden.
Welche Marken bieten C2C-Produkte in Deutschland an?
Einige bekannte Marken mit C2C-zertifizierten Produktlinien sind C&A, der deutsche Hersteller Trigema sowie der Versandhändler hessnatur, die solche kreislauffähigen Produkte anbieten.